Archiv für den Monat September 2019

Widersprüche im Arbeitsschutz, Teil VI – Null-Risiko

Unternehmen und Sicherheitsexperten erwarten von den Mitarbeitern, dass sie jedes Risiko vermeiden oder reduzieren. Risiken sind Teil des Lebens und Antriebsfeder im wirklichen Leben. Motorradfahrer, Lottospieler oder Fußballspieler wissen, dass die Bewältigung eines Risikos, Herausforderung und Genugtuung in sich birgt und Zufriedenheit auslöst. Ein Unternehmen, das am Markt nie ein Risiko eingeht, steht still. Klar, das Risiko muss überschaubar sein sowie kontrollierbar und steuerbar sein. Liegt nicht in beiden Positionen – das Unternehmen muss – der Mitarbeiter darf nicht – ein unauflöslicher Widerspruch? Auch wenn eine solche Bewertung nicht reflektiert und bewusst erfolgt, verwundert es, wenn ein Gefühl von Glaubwürdigkeit verloren geht?

Das Zauberwort heißt „Risikokompetenz“. Es geht darum, Risiken so zu optimieren, dass sie beherrschbar sind und eine entsprechende Handlungskompetenz bei Mitarbeitern auszubilden.

Widersprüche im Arbeitsschutz, Teil V – Motivation

Wenn akzeptiert wird, dass es einen Selbsterhaltungstrieb in jedem Menschen gibt oder so
etwas wie Arterhaltung in unseren Genen verankert ist, dann müssen die Ursachen für fehlende Motivation im Arbeitsschutz andere Gründe haben. Ein gesunder Mensch führt keinen Unfall bewusst herbei. „Nicht wollen“ kann sich also nur darauf beziehen, dass Menschen nicht das wollen, was WIR von ihnen wollen. Wenn andere Menschen motiviert werden sollen, soll ein
bestimmtes Verhalten in ihnen ausgelöst werden. Es soll bewirken, woran WIR interessiert sind.

Arbeitsschutz ist Erwachsenenbildung. Es ist leichter Menschen zu zwingen als sie zu
verstehen. Wenn mit Motivation gemeint ist, solange auf Mitarbeiter einzureden, bis
sie sich scheinbar endlich einer vorgetragenen Meinung anschließen, verschwimmen
Grenzen (…zur Manipulation). Ist es verwunderlich, wenn das daraus folgende Handeln
nur so weit reicht, wie das Auge des Anweisenden?

Inspiration entfacht ein Feuer, das Menschen von Innen bewegt. Inspiration ist die
Kraft der Begeisterung und weckt im Idealfall tiefe Leidenschaft. Menschen, Teams
und ganze Unternehmen, die inspiriert und begeistert sind, benötigen keine Motivation.

Widersprüche im Arbeitsschutz, Teil IV – Angstzuschlag

Meine Sammlung enthält ca. ein dutzend Widersprüche, die es erschweren Mitarbeiter und Führungskräfte nachhaltig zu sensibilisieren und für die Arbeitssicherheit zu begeistern. Heute der vierte Beitrag:

Die Beurteilung eines Risikos ist immer von individuellen Sichtweisen, verfügbaren Bewältigungsstrategien und persönlichen Erfahrungen abhängig. Für die Ableitung von Maßnahmen und Regeln, auf der Grundlage einer Risikoeinschätzung, sind Experten zuständig. Um nach einem Ereignis nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sein ein Risiko falsch prognostiziert zu haben, muss auf jeden Fall eine sichere Seite gewählt werden. Für viele Ereignisse liegen keine objektiven Statistiken vor. Sicherheitshalber muss zusätzlich zur individuellen Expertenbewertung ein „Angstzuschlag“ aufgesetzt werden. Ist der Angstzuschlag das Doppelte oder mehr als die tatsächliche Gefährdung, ist es nicht verwunderlich, wenn die daraus abgeleiteten Maßnahmen nur schwerlich akzeptiert werden. Wenn Regeln in hohem Maße ignoriert werden, kann man sich ständig über „Unbelehrbare“ ärgern, die Regeln durch verstärkte Kontrolle und ggf. Bestrafung durchsetzen oder aber überprüfen, ob die Bewertung und daraus folgende Konsequenzen überzogen war.

Empfinden Mitarbeiter die Arbeitssicherheit als Gegner und nicht etwa als ihren Anwalt, schwinden Vertrauen, Offenheit und Ehrlichkeit. Die Einhaltung von Regeln (Compliance) wird gesteigert, wenn Gefährdungen ohne übergroßen Angstzuschlag bewertet werden.

Widersprüche im Arbeitsschutz, Teil III – Generallösungen

Meine Sammlung enthält ca. ein dutzend Widersprüche, die es erschweren, Mitarbeiter und Führungskräfte nachhaltig zu sensibilisieren. Heute der dritte Beitrag:

Unternehmen und Sicherheitsexperten suchen für Arbeitsschutzprobleme nach einer Generallösung, die für alle Situationen immer gültig ist, damit das Problem ein für alle Mal vom Tisch ist und nicht immer wieder zur Entscheidung gestellt werden muss. Diese muss zudem auf Sicht beobachtbar sein. (Also z.B. Schutzbrillentragepflicht für alle, immer! Keine Ausnahmen!). Nicht zuletzt aufgrund einfacher Kontrollierbarkeit steht der Arbeitsschutz in der Tradition immer eine Lösung als die einzig richtige zu akzeptieren (Handlauf anfassen ist gut. Nicht anfassen ist böse). Aus wahrscheinlich hunderten von sicheren Techniken wird vom Unternehmen eine einzige akzeptierte vorgegeben.

Mitarbeiter, die gelernt haben, dass es für jedes Problem immer mehrere Lösungen gibt, dürfen nicht selbst entscheiden (…wie sie z.B. eine Treppe begehen). Wer sich gegängelt fühlt, hält sein Wissen zurück („Soll ich nun Mitdenken oder nicht?“). Im wirklichen Leben steht in der Regel ein ganzes Bündel von Lösungen zur Verfügung, aus denen je nach Umstand ausgewählt wird.

Arbeitsprozesse sind in den letzten Jahren immer komplexer geworden. Je vernetzter die Systeme werden, desto weniger sind eindimensionale Lösungen zielführend.

Die Entscheidung zu eindimensionalen Maßnahmenbeschlüssen wird der Abteilung Arbeitsschutz unterstellt (kein gutes Image). Kann ein Lösungsansatz darin liegen, zukünftig statt eindimensionale Vorgaben, Korridore zu definieren, die Entscheidungsspielräume beinhalten?